Im Labyrinth der Noten

- oder wie Wolfgang Paar meint, vom Saulus zum Paulus

In jedem Fall klingt das nach weiten Wegen und es klingt nicht bloß so. Irgendwann als 6- bis 7-jähriger Hase höre ich von meinem Bett seltsame moderne Klänge aus dem Röhren-Radio-Plattenspieler meiner Eltern; meine Brüder hörten "The Spootniks", "Come on the sloop John B", Manfred Mann und "Melissa‘s Theme" sowie "California Dreaming" ... und entgingen dabei nicht den strafenden Blicken der Eltern; verbotenerweise höre ich stundenlang Ö3 nach dem vermeintlichen ""Schlafengehen".

In der 3. Klasse Mittelschule, nach sicherlich 20 ernsthaften Versuchen, mich zum Lernen eines ernsthaften Instruments zu bewegen, trage ich meiner Klasse mit der Gitarre "Lola" von den Kinks vor. Hernach ist Härteres angesagt. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich das erste Mal von einem Ordner in der Stadthalle aus dem unmittelbaren Bühnenraum gezerrt wurde, hatte ich doch schon überhaupt alle Sperren durchbrochen und war vorgedrungen bis unter die Gitarre von Alvin Lee. Mein Freund Charly trug ein blaues Aug von diesem Unternehmen davon wie vorher schon einen zerstörten Plattenspieler:

Wir hörten Beatles, träumten von Mädchen und Freiheit, als sein Vater die Tür öffnete und mit dem Kommentar, das sei ja nicht zum Anhören, mit einem gezielten Fußtritt auf den Tonarm des am Boden stehenden Plattenspielers dem Träumen ein Ende bereitete. Pop-Musik und Freiheit, sensible Klänge später von Simon & Garfunkel, Bob Dylan und Pink Floyd, Musik zum Sich-selbst-Verlieren, was noch wichtiger schien, als sich selbst zu finden...

Hauptplatz Geras, in Reih und Glied ziehen viele Leute durch die Stadt und schmettern etwas, das wie Marschmusik klingt, wie früher am Sonntagnachmittag, wo gewöhnlich väterliche Entscheidung das Radioprogramm diktierte ... Eine endlose Folge von ram-dada-dam und Lachen, verlegene Blicke von rundherum, Begeisterung kippte stellenweise in Verwunderung und wieder in Applaus, der zu neuen Wiederholungen des Singwochenhits führte ... ein verrückter Haufen.

Schließlich keine Kraft mehr zum Widerstand gegen Bigis Überredungskünste ... eigentlich war es ein Adventsingen. Der total gelungene Einstieg mit einem einfachen Adventkanon, Einzug mit Kerzen in dunkler Kirche – Mystik, denk ich in scheuer Annäherung.

Mit Walkman und allen teuren Kassetten "meiner" Musik im Handgepäck nehme ich an einer Singwoche teil und entkomme dem Zauber des Neuen nicht ... Gitarre und Kassetten waren beruhigend, aber ein angeblich vom Franz kompliziert bearbeitetes Kyrie – nein, eigentlich der Gesang, der nach kurzer Anprobe schnell entsteht, macht mich stumm ...

Die Kirchenchorvergangenheit ausgegraben und aktualisiert, kopiert da einer, was er beobachten konnte und zitiert Meistersprüche von Akkordumkehrungen und geschossenen Löchern und auskomponierten Phrasierungen einzelner Textpassagen. Intonation einer neuen Welt, nachdem kein rhythmisches Liederbuch noch etwas Neues enthält, das nicht aus dem Stegreif zu begleiten wäre.

Lust an der Macht des Dirigentenstabes, Überraschung und Glücklichsein. Höhenflüge, ein neues Kapitel des Traums von Freiheit – und die Frage, ob ich mich nun selbst darin gefunden hätte, was ich mehr erhoffte, als alle vermuteten. "Sicut cervus desiderat" ... zurück zu den Quellen und neue Meistersprüche wie "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr".

Freiheit im Gehaltensein, will mir scheinen, ist das, was Musik vermitteln kann. Die Freiheit, die ich suche, wird zur Freiheit des anderen im Ereignis des Musizierens – primär, aber gewiss genauso in den Gesprächen, durchgemachten Nächten und in den Freundschaften, die sich inzwischen auf den Singwochen ergeben haben.  

Hannes Pesl

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