Handout Themenabend Singwoche 2023


Vorbemerkung: Das Thema verdankt sich einem Buch: Peter Schäfer, Die Schlange war klug“ – eine Abhandlung zum Verständnis des biblischen Schöpfungsberichts im Vergleich zu Schöpfungsmythen der biblischen Zeit und in ihrer Wirkungsgeschichte bis heute; ein besonderes Augenmerk liegt auf der unterschiedlichen Deutung als Sündenfall mit der Folge der Erbsündenlehre im Christentum und der Geburtsstunde des Menschen als freies und verantwortliches Wesen durch Erkenntnis von Gut und Böse im Judentum.

  • Vor- biblische und zeitgleiche Schöpfungserzählungen

Zwei Typen sind bekannt:

  • Babylonische-sumerische Schöpfungsmythen (Gilgamesch-Epos, Enuma Elisch): eine Vielzahl von Göttern ringt um eine Rangordnung, dabei werden Menschen als „Diener“ der Götterwelt geschaffen. Rangniedrigere Götter erhalten ihren Platz als „Schöpfer“ der Menschen und Hersteller von Ordnung in einer chaotischen Welt, sodass sie zur Zivilisation wird. In beiden gelingt dies erst nach einer Sintflut durch Rettung eines einzelnen Gerechten, mit dem die Zivilisation beginnt.
  • Griechische Ursprungsmythen (v.a. Plato): Ein „Demiurg“ = Helfer hat die Aufgabe, aus einer Chaos-Welt eine bewohnbare Welt zu formen, die den urbildhaften Ideen des Guten, Wahren und Schönen möglichst entspricht, damit die Seelen der Menschen auf Erden diese Ideen erkennen und ihnen zustreben können. Eine Urmaterie aus Atomen und Elementen formt sich zueinander eben gemäß der Ideen zu einem geistdurchwirkten Kosmos.
  • Die Eigenart des biblischen Textes (Gen 1 und 2) besteht in der Annahme eines ersten Menschenpaares, von dem alle weitere Menschenwelt ausgeht. Das „Essen“ vom Baum der Erkenntnis ist Übertretung eines Gebotes und hat Sterblichkeit und Lebenslast zur Folge, die auf alle weiteren Generationen übergeht. Die in den weiteren Kapiteln berichtete Überhandnahme des bösen Treibens mündet in der Sintflut, durch die ein Neuanfang der Menschheitsgeschichte gesetzt wird. Nun wird der Mensch als der, welcher er durch die Gebotsübertretung geworden ist, Herr über die Schöpfung unter dem Segen des Bundes (Regenbogen) und es beginnt die dramatische Geschichte des Bundes Gottes mit dem Volk Israel mit der Übergabe der Thora („Gesetz des Mose“) als das wichtigste Instrument, den Menschen eine Hilfe zu geben zur Erkenntnis von Gut und Böse.

Wirkungsgeschichte der Schöpfungsberichte

  • Die christliche Deutung des biblischen Schöpfungsberichtes

Leben, Sterben und Auferstehen Jesu verbunden mit den Berichten über seine Dispute mit Gesetzeslehrern wird gedeutet als Vollendung der „Erkenntnis von Gut und Böse“ im Beispiel Jesu durch die Liebe. Er allein war in der Lage, die Nachwirkungen des Sündenfalls im Paradies zu überwinden – das Gesetz konnte nur „Schadensbegrenzung“, nicht aber Überwindung des Bösen im Herzen der Menschen erreichen.
Allein der Glaube an ihn rettet vor einem ausweglosen jeweiligen Rückfall an das Böse, weil er vor aller Straf-Angst erlöst und zum Tun des Guten aus Liebe befreit. Die Taufe als Besiegelung wird zur unbedingten Voraussetzung zur Erlangung des Heils = Überwindung der Negativ-folgen, die Adam über alle Menschen gebracht hat.

  • Das Schema des Römerbriefs: „durch einen Menschen (Adam) kam der Tod – durch den neuen Adam = Christus kam das Leben“ führt bei Augustinus zur „Erbsündenlehre“: das Menschengeschlecht wurde durch Adams Fall so sehr bis ins innerste Wesen verdorben, dass es aus sich heraus zu keiner Gerechtigkeit vor Gott je mehr gelangen könnte. Nur durch Gottes Initiative kann Befreiung aus der Sünde kommen (durch die Gnade).
  • Durch die Reformation wurde der „Handel“ der Kirche mit den Sündenstrafen desavouiert und eine Neudefinition notwendig. Die Erbsündenlehre der Kirche wird auf dem Konzil von Trient formuliert:
  • Die Erbsünde ist wirkliche Sünde auch ohne Zutun des einzelnen, schon allein durch die Geburt und den Akt der Zeugung – Erbsünde ist also nicht Nachahmung des Beispiels Adams, wie es andere Strömungen propagierten.
  • Sie wird durch Christi Erlösungswerk vollständig getilgt; d.h.:
    • Christus heilt das Herz, das innerste Wesen des Menschen und befähigt es zur reinen Gottesliebe ohne Entstellung durch die Sünde
    • Christus tilgt die als Folge eigener Sünden anzunehmende Strafe bis hin zur Verdammnis, indem er die Sünde der Welt auf sich genommen hat und in der Liebestat am Kreuz vernichtet hat.
  • Es bleibt nach der Taufe zurück eine „concupiszentia“ = ein Begehren. Dieses macht Menschen weiterhin „anfällig“ für die Sünde, kann aber durch ein Leben in der Nachfolge Christi (v.a. Orden), durch Halten der kirchlich gelehrten Gebote und durch den Empfang der Sakramente geheilt werden.
  • Die Kirche definiert sich selbst als das universale Heilmittel, von dem alle abhängen („außerhalb der Kirche kein Heil“)
  • Aufbruch der Moderne

Der Aufbruch der Moderne ist eine Emanzipation der Gesellschaft von der Vorherrschaft der Kirche – politisch durch das Zurückdrängen von Religion „in die zweite Reihe“ nach Demokratie und Menschenrechten; geistesgeschichtlich durch die philosophische Begründung der moralischen Verantwortung des Menschen, für die eine Unterscheidung von Gut und Böse aus eigener Einsicht (und nicht nach Anweisung der Kirche) Voraussetzung ist.

  • Das Finale

Im strittigen Verhältnis von menschlicher Freiheit und Abhängigkeit von Gott (die in jedem Glauben aktualisiert ist) entstehen atheistische Strömungen, totalitäre Staatsformen und die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Die Versuche, das Geschick der Menschen „selbst in die Hand zu nehmen“ und die gesellschaftlich positive Rückbindung an seinen göttlichen Ursprung stehen bis heute im Disput. Das Grundverständnis noch des 19. Jahrhunderts, nach dem „Abhängigkeit von etwas anderem“ automatisch Unfreiheit und Entfremdung bedeuten, ist theologisch überwunden: „Abhängigkeit von Gott, von seinem Ursprung, macht den Menschen erst vielmehr wirklich frei, er selbst zu sein und sein Menschenleben von Gott her bestätigt und getragen zu wissen und gibt erst wahrhaft frei zur je eigenen Leistung“.
Grundworte heutiger christlicher Deutung
Das Grundwort schlechthin bildet das Gegensatzpaar von „Vertrauen und Angst“ – Adam vor dem Sündenfall repräsentiert das schlechthinnige Vertrauen in die Güte Gottes und des Lebens insgesamt. Durch den Sündenfall und den Folgen der Sterblichkeit und der Schmerzlichkeit entsteht ein Kraftfeld der Angst, welches das Verhältnis zu Gott trübt und korrumpiert. Jedes Menschenwesen aber wird in eine bestehende Welt hineingeboren und kommt vor jedem verantwortlichen ethischen und moralischen Handeln damit in Berührung, wird also notgedrungen in das Spannungsfeld von Angst und Vertrauen hineingezogen. Mehr oder weniger psychologisch treffsicher versucht heutige Theologie, das Erlösungswerk Jesu Christi als angebotenem Weg von der Angst zum Vertrauen zu beschreiben und dabei die Negativbilder des Lebens aus der Angst heraus zu überwinden durch die Positiv-Bilder des durch die Taufe grundgelegten Gottvertrauens.
Schlussbemerkung:
Die sowohl im Judentum als auch im Christentum am besten erkannte Schöpfung des Menschen als „sozialen Wesens“ lässt die Erfahrung deuten, warum das Leben und Handeln eines Einzelnen nicht nur für sich selbst, sondern auf sein ganzes Umfeld Bedeutung hat. Die im Judentum konservierte Auffassung, dass Gott von Anfang an die Erkenntnis von Gut und Böse beabsichtigt hatte („Die Schlange war klug“), weil er den Menschen die Thora als Hilfsmittel für seine moralische Verantwortung geben wollte, erinnert an die Fähigkeit des Menschen zum Guten unabhängig von Erlösungsvermittlern (Kirche und ihre Sakramente). Heute ist der Streit um die Erbsünde so gut wie erloschen. Für den einzelnen Menschen ergeben sich kaum Konsequenzen für seine Lebensführung. Gesellschaftlich aber ist die Frage nach Werten und Orientierungen, die als Richtschnur für „gut und böse“ gelten könnten, umstrittener denn je. Säkulare Ansätze der Menschenrechte, der Demokratie, des Fortschritts verheddern sich zwischen Idealismus und Fundamentalismus. Sowohl in der christlichen wie in der jüdischen Deutung ist mit dem Schöpfungsbericht eine Zielvorstellung des menschlichen Lebens mitgegeben (Jesus Christus hier, die Thora dort), die seit dem 19. Jahrhundert bis in unsere Tagen bestritten wird. Pandemie und Klimakrise können die Erfahrungsebene, was mit Erbsünde gemeint ist, ansprechen: jeder Mensch ist hineinverstrickt in die Verhältnisse der Welt, die auch von Übel und Bösem durchsetzt sind, selbst wenn gute Absichten und idealistische Fortschrittsgedanken dahin führten. Die Frage, was davon befreien kann teilen sich nach wie vor in zwei Wege:

  • Kann ich aus mir heraus den Weg zum guten Leben finden und gestalten (siehe dazu Beispiel IKIGAI)?
  • Finden wir nur in der Rückkehr zu einer richtigen und guten (= aufgeklärten) Religion und einem Leben in personaler Beziehung zu Gott den Weg aus der Misere zum Heil?

Oder geht es heute in erster Linie darum, beide Wege nicht als Gegensatz, sondern einander zugehörig zu sehen und gemeinschaftlich in einer neuen ökologischen, sozial gerechten und auf persönliches Wachstum orientierten Spiritualität ins Leben zu bringen? Dann wäre die Praxis der Kirche, von der Pfarre bis zum Papst, daran zu orientieren, wozu ich diesen Beitrag leisten wollte.

Hannes

Verweise:
Eine Langfassung geht auf Details der Inhalte und Geschichte ein, ist aber weniger übersichtlich.
Das Modell des IKIGAI könnt ihr über diesen Link ausführlicher ansehen:
https://karrierebibel.de/ikigai-modell/

 

 

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