Singwoche 2007
Seckau


Was ihr erlebt, muss ich mitnichten
euch im Gedichte noch berichten.
Ihr habt es selber im Gedächtnis,
und schon gehört’s zum Chorvermächtnis.

Was ich jedoch von diesen Tagen
vermag heut Abend beizutragen,
ist ein geheimes Protokoll,
das heut nach Rom noch abgehn soll.

Mit Hilfe eines mutgen Mannes –
sein Name sei genannt: Johannes –
ist es in meine Hand gelangt,
bevor es in der Zeitung prangt.

Ihr wisst ja, eh ich’s ausgesprochen,
was sich ereignet in acht Wochen:
Ein Schild an jeder Tenne pickt –
in Kürze kommt der Benedikt.

Um ihm die Wege zu bereiten,
geraume Zeit schon Äbte reiten
aus Heilgenkreuz wie andern Orten
und klopfen an die Klosterpforten,
um Stimmung für das Fest zu machen
und, wenn sie finden schlimme Sachen,
sie kundzutun dem Heilgen Stuhl,
damit aus diesem Sündenpfuhl
mit Hilfe von dem Papstbesuch
entweiche des Konziles Fluch.

Ein solcher Abt nun hat diskret
(wie dieses sich von selbst versteht)
auch diese Gegend visitiert,
und sein Bericht sei jetzt zitiert.


„Ich fand, wie es mein Herz begehrt,
mit Mauern die Abtei bewehrt,
und sind sie manchmal auch durchlöchert,
so ist gottlob noch viel verknöchert.

Zum Beispiel ließ man Boeckl malen,
anstatt das Schulgeld einzuzahlen,
einst die Geheime Offenbarung,
doch hält man diese in Verwahrung.

Von jenen, die sie sehen wollen,
verlangt man, dass sie blechen sollen,
und diese rigorose Haltung
durchzieht die ganze Stiftsverwaltung.

Man spricht bei diesem schönen Zweckbau
gemeinhin als vom Sparstift Seckau,
und dieses Vorbild unverhohlen
sei hiemit andern auch empfohlen.

Zwar baute man, um anzulocken
die Jugend mit und ohne Socken,
ein hübsches Jugendgästehaus,
doch lässt man keine Kniffe aus,
dass jenen, die grad angeworben,
der Aufenthalt dann wird verdorben.

Den Jungen, die zum Tollen neigen,
man bietet an das Stiegensteigen,
und klar, dass man mit Brennstoff geizt,
wenn eigentlich gehört geheizt.

Auch auf Details wird nicht vergessen:
Das Klopapier ist knapp bemessen,
damit die Gäste sich verpissen,
sobald sie haben ausgeschissen.

Im höchsten Maße nachzuahmen
ist aber auch der Küchenrahmen.
Man hat hier ganz besondre Becken,
um jede Suppe lang zu strecken,

und die Palette der Salate
gleicht der adventlichen Rorate.
Kommt etwas Warmes auf den Tisch,
so gleicht der Reisauflauf der Quiche,

wobei man, richtig raffiniert,
das Warme nur mehr lau serviert.
Auch nur zu ganz besondren Zeiten
lässt der Kaffee sich zubereiten.

Ist jemand schließlich so vermessen
und schneit herein zum Mittagessen,
so muss er, angestellt in Schlangen,
sogar um eine Semmel bangen.

Man sieht: Hier wird nichts ausgelassen,
dass klingeln dieses Klosters Kassen,
und doch wird nicht auf das verzichtet,
was seinen Ruf zugrunde richtet.

Erwähnt sei noch, dass dieser Geist
auch in der Berge Höhn verweist.
Maria Schnee ist wunderbar:
Dort gibt’s noch keinen Volksaltar,
und man erspart sich viele Spesen,
wenn alles bleibt, wie es gewesen:
Wir müssen, wenn wir jetzt zurückschaun,
nicht langsam alles erst zurückbaun.“



Im zweiten Teil von seinem Schreiben
der Abt sich widmet dann dem Treiben
eines hier gewesnen Chores,
der verursacht manche Zores.


„Es handelt sich um eine Gruppe,
die gleich einer Guerillatruppe
im Trainingslager kommt zusammen,
ansonsten aber, mag sie stammen
aus Wien und Niederösterreich,
ausführt ihren Heldenstreich
als Einzelkämpfer in den Pfarren,
in denen sie partout verharren.

Forsthuber heißt der Gruppenführer
und schätzt besonders Albrecht Dürer.
Im Urwald nennen sie ihn Wurst,
ansonsten prägt ihn Wissensdurst
und Leidenschaft für Liturgie.
Doch kennt er seine Grenzen nie.

Der Mann verhält sich zu Abt Gartner,
als wär er gleichgestellter Partner,
und nennt ihn voll Impertinenz
gar einen Sklaven des Konvents.

Als wollte er den Abt verhöhnen,
entlockt er mit Schalmeientönen
ihm keck so manche Konzession
und läuft schon im Triumph davon.

Er will sich nicht einmal verschanzen
und lästert offen über Wanzen!
Zwar selbst sehr wohl Autorität,
bekrittelt er von früh bis spät,
was hier im Hause wird entschieden,
und stört den Benediktusfrieden.

Auch lässt er gern lateinisch singen;
sogar Marienlieder klingen
bisweilen aus dem Kaisersaal,
doch dient ihm dieses allemal,
um einen Mantel umzuhängen
seinen Protestantenzwängen.

Dreist drängt er an des Karls Grab,
der einst doch uns Katholen gab
den alten Römerglauben wieder,
und singt am liebsten seine Lieder
in der Apsis dieses Doms.
Das ist doch nicht der Wille Roms!

Zur Seite stehn dem Insurgenten
zwei nicht geweihte Assistenten,
Frau Ripper und Herr Wolfgang Paar,
die ihm zu Diensten Jahr für Jahr.

Auch lässt er aus der Sänger Meute
dirigieren andre Leute,
darunter Martha, Wolfgangs Frau;
mir wird schon vor den Augen blau!

So tönt, bis man des Abends doof,
Musik durch dieses Stiftes Hof,
und da die Proben noch nicht langen,
erhebt sogar sich das Verlangen:
Die Pause statt zum Schmausen nütz
für einen kleinen Pausen-Schütz.

Des Abends noch hört aus der Ferne
man grölen sie in der Taverne
und völlig außer Rand und Band
lateinisch spotten Hand in Hand.

Selbst Regner, die Konditorei,
erfasste die Forsthuberei,
und Samstag Mittag Mann und Frau zog
auch noch zum Rennen mit dem Sautrog.

Man sieht und hört: Ars ferialis
für die Abtei nur eine Qual is,
und nur mit Einsatz aller Mittel
sie reduziert wird auf ein Drittel.


Doch schon erscheinen klare Zeichen,
dass sich der Himmel lässt erweichen.
Als wollte Gott Forsthubern strafen,
mit Mühe nur zusammentrafen
er und der Chor in Ingering,
da in dem Straßennetz verfing
der Regens Chori sich, herrje,
beim Fahren zu dem Alpensee.

Familienverpflichtungen
und andere Verrichtungen
auch zwingen manche abzureisen,
anstatt am Sonntag Gott zu preisen –
auch dies gewiss ein Wink von oben,
denn statt den Schöpfer nur zu loben,
man fühlt sich selber „wie im Himmel“,
verfallen ganz dem Filmesfimmel.

Auch ruft des Chores Regel heim,
sobald erklang des Dichters Reim,
und aus ist’s endlich mit dem „Zwick di“
an der Regel Benedicti.

Aufatmet Pater Seraphin,
denn bald schon zieht der Chor dahin
und es erschallt der Freudenschrei:
Stift Seckau ist forsthuberfrei!


Was nun betrifft die Konsequenz,
so walte milde Indulgenz
im Hinblick auf des Chores Leiter.
Er zieht ja bald nach Norden weiter
und schwört auch, nicht zurückzukehren
und hier die Brüder zu belehren.

Was aber anbelangt das Stift,
so hat es gegen jenes Gift
bewiesen große Abwehrkraft,
die wohl auch nicht so bald erschlafft,

und wär der Abt hier ähnlich stark
als wie der Henckel-Donnersmarck,
so stünde außer Dauerregen
dem Papstbesuch hier nichts entgegen.
Es gilt von hiesiger Abtei:
Da ist viel Gutes schon dabei.“



So endet jenes Abtes Schreiben
und als dem Mittler mir verbleiben
die Worte nur mehr: Gott ist groß.
Es lebe Seckau, auf nach Sooß!


Erläuterungen

Dem Abt von Heiligenkreuz, Gregor Henckel-Donnersmarck, ist es gelungen, in den Pastoralbesuch von Papst Benedikt XVI. einen Kurzbesuch seines Zisterzienserstiftes im Wienerwald einzubauen. Der Wettlauf zweier Grafen – Abt Henckel-Donnersmarck und Kardinal Schönborn – um die Gunst des Papstes sorgt in Journalistenkreisen seit Monaten für Erheiterung.

„Der Abt, der reit“: Textzeile aus einem alten Scherzlied über Äbte, die oft unterwegs waren und den Mönchen damit einen gewissen Freiraum verschafften. Mit dem erfundenen Abt, der das von mir fingierte Protokoll nach Rom bringt, ist keinesfalls der derzeitige Abt von Seckau gemeint.

Herbert Boeckl malte, statt das Schulgeld für seine Kinder zu bezahlen, die Engelskapelle des Stiftes Seckau mit Fresken zum Thema der Offenbarung aus, eines der bedeutendsten Kunstwerke der Nachkriegszeit in Österreich. Die Kapelle ist jedoch nur im Rahmen der Stiftsführung oder nach besonderer Vereinbarung zugänglich.

In Ermangelung großen Grundbesitzes gehört Seckau zu den ärmeren Abteien des Landes. Umso bemerkenswerter sind die baulichen Aktivitäten wie etwa der Turn- und Zeichensaal des Gymnasiums.

Eine Mitarbeiterin des Jugendgästehauses erklärte, der Raum, in dem die Jugendlichen spielen können, werde gerade umgebaut, sie könnten aber die Stiegen auf- und ablaufen.

Während des Kälteeinbruchs auf der Singwoche war es zumindest in meinem – im Übrigen sehr gefälligen – Zimmer im Erdgeschoss empfindlich kalt, auch im Probenraum klagten SingwöchnerInnen über die niedrige Temperatur.

Die Klopapier-Reserverolle habe ich leider erst kurz vor der Abreise entdeckt.

Dass die Suppen verdünnt auf den Tisch kamen, wurde von vielen TeilnehmerInnen festgestellt.

Der lange Transportweg von der Stiftsküche ins Jugendgästehaus bewirkt ein gewisses Austrocknen der Speisen, besonders weil sie lang vor der Mahlzeit angeliefert werden. Auch von der Ausgabestelle in den Speisesaal war es ein weiter Weg über mehrere Stufen. Wer auch nur eine Semmel oder ein nicht bestelltes Essen haben wollte, musste warten, bis alle anderen ihre Portion geholt hatten.

Während der Singwoche wurde in der Abtei der Benediktustag begangen.

„Protestantenzwänge“: Diese werden unserem Regens Chori von dem von mir erfundenen Abt unterstellt, nicht von mir selbst. Franz Forsthuber ist ein Mann der Ökumene, aber an seiner Katholizität habe ich niemals gezweifelt.

Das prunkvolle Grab des Erzherzogs Karl von Innerösterreich (gestorben 1590) und seiner Gemahlin Anna von Bayern im linken Seitenschiff hinter dem Chorgestühl gehört zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Seckauer Basilika. Infolge einer Erbteilung war Graz eine Zeitlang Residenzstadt einer Linie der Habsburger. Unter Innerösterreich waren damals Steiermark, Kärnten, Krain (das Land um Laibach) sowie das Küstenland (Görz/Gorizia/Gorica und Triest) zu verstehen. Nach anfänglicher Kompromissbereitschaft betrieben Karl und mehr noch seine Frau entschieden die Gegenreformation, vor allem mittels Ausweisung der Prediger und deren Ersetzung durch jesuitisch geschulte Katholiken. Ihr Sohn, der als Ferdinand II. den Kaiserthron bestieg und im Mausoleum neben dem Grazer Dom begraben ist, sollte das Werk dann vollenden.

Während der Singwoche wurde der Film „Wie im Himmel“ des schwedischen Regisseurs Kai Pollack gezeigt, ein Kultfilm über die Macht der Musik und gegen religiöse Heuchelei.

Derzeitiger Provisor der Stiftspfarre ist Pater Johannes. Er trat persönlich nicht in Erscheinung, ließ aber durch die Liturgieverantwortliche des Pfarrgemeinderats seine Wünsche übermitteln: Auftritt des Chores nicht in der Apsis, nur drei Chorstücke usw. Pater Johannes und seinem leiblichen Bruder Seraphin, dem Gastpater des Stiftes, wird eine Nähe zur Medjugorje-Bewegung nachgesagt.

Indulgenz = Nachsicht.

„Da ist viel Gutes schon dabei“: geflügeltes Wort dieser Singwoche, von dem Dirigenten im Film „Wie im Himmel“, aber auch anderen Chorleitern verwendet, wenn etwas noch nicht ganz gelungen ist.



Es war in keiner Weise meine Absicht, mit diesem Gedicht irgendwen zu beleidigen oder schlecht zu machen. Die Gedichte zum Abschluss der Singwoche sind kein Bericht, sondern ein heiterer Ausklang, in dem besondere Ereignisse aufs Korn genommen werden. Heuer hat die Aktualität des Papstbesuchs zu einer besonders strengen Komposition und damit auch zu einer Zuspitzung geführt, was das Stift und das Jugendgästehaus betrifft. Wenn ich zu weit gegangen bin, bitte ich meinerseits um Indulgenz. Von meiner allgemeinen Kirchenkritik nehme ich freilich kein Jota zurück.


Wolfgang Bahr

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