Eine fröhliche Liturgie

Liturgie: Das ist etwas, wo das ganze Leben drin vorkommt, wo sich dieses Leben in Formen und Abläufen verdichtet, wo mir ein Grundgerüst zugleich Halt verleiht und Freiheit lässt und wo ich Kraft schöpfen kann für die Zeit danach. Ist unsere Singwoche nicht genau das?

Da wird nicht nur gesungen, sondern auch geschlemmt und gebechert, gebadet und gelaufen, diskutiert und zu später Stunde sogar geschlafen. Da sorgen Fixpunkte für Orientierung wie der Begrüßungsabend, das Morgenlob, der Ausflug, der Gottesdienst unter der Woche, der Samstagabend mit Darbietungen aller Art für Orientierung. Aus der Opferung von Zeit und Geduld in langwierigen Proben erwächst in der jedes Mal neu zu vollziehenden Wandlung vom Einzelkämpfer zum Chormitglied schließlich die musikalische Kommunion beim abschließenden Sonntagsgottesdienst. In dieser Liturgie der Singwoche habe ich aber auch Zeit für mich selbst, da kann ich mich mit Ideen einbringen, und da darf ich auch einmal passen, wenn mir nicht danach ist. Von all dem zehre ich ein ganzes Jahr lang und darüber hinaus. Und wenn das Publikum einmal davonläuft – gerade den Abschied in Straden habe ich als besonders innig in Erinnerung. Haben wir eben für uns selbst gesungen!

Das Abschiednehmen und das Wiedersehen genieße ich in dieser Gemeinschaft in ganz besonderer Weise. Es hat für mich eine besondere Qualität, dass sie sich nur zweimal im Jahr, zur Singwoche und zum Adventsingen, regelmäßig zusammenfindet. Die Mühen des Alltags, die das ständige Zusammenleben in der Familie, am Arbeitsplatz oder auch in der Pfarre kennzeichnen, bleiben dadurch ausgespart, andererseits besteht nach so vielen Jahren doch eine gewisse Vertrautheit untereinander. Das Zusammentreffen im größeren Rhythmus fordert auch zu einer gewissen Rechenschaft heraus: Wo bin ich voriges Jahr gestanden, wo stehe ich heute? Wir entwickeln uns weiter – zueinander hin, manchmal auch auseinander. Dass beides Platz hat, dass niemand wegen seiner Entscheidungen gerügt wird, genieße ich sehr. Hier herrscht, um es ebenfalls im Kirchendeutsch zu sagen, katholische Weite.

Zu dieser Katholizität passt auch, dass wir einer Mischung von pilgerndem Gottesvolk und Stabilitas loci huldigen: Wie eine Karawane ziehen wir von einem Ort zum andern; wo es uns gefällt, lassen wir uns aber auch für eine Zeitlang nieder, und manchmal kehren wir nach einer Pause an einen Ort zurück. Das gemeinsame Kennenlernen der Heimat, gemächlich, ohne den Druck einer strengen Reiseleitung, bedeutet mir viel, besonders wenn wir die Heimat mit ihren Kirchen, Sälen und Höfen zum Klingen bringen. Hinzu kommt die Weite unseres Liedguts, die vom Mittelalter bis in die Gegenwart reicht. Wenn dann in der romanischen Krypta von Ardagger ein Lied von Jens Rohwer erklingt oder im Prälatensaal des Wiener Schottenstifts eine Silja-Walter-Vertonung von Franz Forsthuber, schließt sich der Bogen von Raum und Zeit in einer Weise, dass mir das Herz übergeht.

Oft habe ich schon darüber nachgedacht, warum ich nirgendwo sonst so beharrlich zur Feder greife und ein Gedicht schreibe wie auf der Singwoche. Der Erwartungsdruck ist groß, aber ich weiß: Es gibt jedes Mal genug Anregungen und ein wohlwollendes Publikum, auf das ich mich verlassen kann. Ich bin nur das Medium, durch das die Tinte fließt, die eigentlichen Schöpfer sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Singwoche. Das gehört eben auch zu einer Liturgie dazu, die diesen Namen verdient: dass die Kreativität angeregt wird, dass der Mut gestärkt wird, dass die Sehnsucht nach Dauer geweckt wird. Dank dem Liturgen, der die Verantwortung auf sich nimmt und die Seele des Ganzen bildet; Dank seinen Vikarinnen und Vikaren, die ab und zu einspringen; dank der Mesnerin und dem Mesner, die alles immer verlässlich vorbereiten, Dank den Konzelebrantinnen und Konzelebranten, die die Noten zum Klingen bringen. Und Dank dem, der uns alle zusammengeführt hat ...                                                                                                                  Wolfgang Bahr

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