Ein kleines a mit einem gegen den Uhrzeigersinn gedrehten Ringelkreis, das @, macht Weltkarriere und nistet sich mit Macht auch im deutschen Bewußtsein ein. Computernutzern ist es längst bekannt. Sie drücken die Tasten Alt-Gr und Q gleichzeitig, und da steht es auf dem Bildschirm. Sie nennen es Klammeraffe, Affenohr, manchmal auch Affenschwanz oder, überseriös, at-Zeichen. Zoologen wundern sich, denn Klammeraffen aus Afrika sind eigentlich ihre Domäne. Das Symbol Klammeraffe @ soll vom englischen "at" stammen. Soll. Denn unsere Lexika und Wissenschaftler schweigen noch, und auch der literarisch interessierte Mann auf der Straße reagiert eher ignorant auf das neue Zeichen.
Wer Lexika befragt, wird herb enttäuscht. Sogar der Informatik-Duden glänzt auf allen Stichwort- Ebenen mit Nichtwissen. Dabei ist das Zeichen schon Bestandteil von Zeitschriftentiteln und zahlreichen Sprachspielereien, wo es das a ersetzt. Buchdrucker und Typologen kennen es längst, sie müssen Visitenkarten drucken und monieren mürrisch die zu großen Ober- und Unterlängen des @. Zunehmend lassen die Leute nämlich die Chiffren für ihre elektronische Post (eMail) auf ihren Karten vermerken. Der Klammeraffe trennt für Internet und eMail den Menschen von der Maschine: links die Person, dann das Zeichen @, dann die Computerdomäne, die den Menschen bedient.
Das Affenohr, selbst von Amerikanern noch gelegentlich mit dem kaufmännischen "und" (&), englisch "ampersand", verwechselt, kam auf wunderliche Weise in die eMail-Adresse - durch den Programmierer und Hacker Ray Tomlinson, der 1972 in den wenigen damaligen Netzen Amerikas, die technisch noch sehr unterschiedlich waren, Programme für den elektronischen Verkehr in diesen Netzen schrieb, also die eMail implementieren wollte. Tomlinson suchte eine Möglichkeit, den Namen des Users eindeutig und unmißverständlich von den Bezeichnungen der Maschinen und Domänen zu trennen. Er forschte nach einem Zeichen, das niemals im Namen eines Menschen auftauchen würde. So blickte er prüfend auf das Keyboard, das er selbst benutzte, ein "Model 33 Teletype". Das Zeichen durfte keine Ziffer und kein Buchstabe sein. "Ich wählte das @-Zeichen", sagte er später. Das Affenohr hatte den Vorteil, "zu" zu bedeuten und erfüllte die Voraussetzungen Tomlinsons.
Tomlinson hatte keine Ahnung, daß er die Welt mit einem neuen Buchstaben pflasterte. Viele seiner Freunde waren jedoch zunächst entsetzt über seine Entscheidung. In jener Zeit entstanden erst die Betriebssysteme für die neuen Rechner. Windows war noch nicht vom Mac abgekupfert. Eines der neuen Betriebssysteme hieß "Multics" und stammte von den Bell Laboratories. Dort war der Klammeraffe das Steuerzeichen für die Löschung einer Zeile. Das "line killing"-Zeichen verkürzte also plötzlich Briefe auf unangenehme Weise, indem es bereits die Adresse löschte. Im April 1975 war auch dieses Problem durch eine neue Vereinbarung über einen Standard-Briefkopf gelöst. Der Klammeraffe konnte keine Zeilen mehr morden, sondern sich harmlos ausbreiten.
Ein exzellenter Kenner der angloamerikanischen Kultur versicherte, das at-Zeichen @ sei die Entsprechung des französischen à mit accent grave: fünf Äpfel zu zehn Pfennig, fünf Äpfel à zehn Pfennig, five appels at ten cents. Die Kaufleute hätten das @ in England lange so auf ihre Preisschilder geschrieben. Daher wird der Klammeraffe in der englischsprachigen Welt auch als "commercial a" bezeichnet. Er war so schon auf ersten amerikanischen Schreibmaschinentypen zu finden. In Schweden scheint er ebenso schon lange heimisch zu sein.
Auf der iberischen Halbinsel trat das @-Zeichen noch weit früher auf; es soll aus dem Jahr 1555 zum erstenmal überliefert sein. Spanische, portugiesische und dann auch französische Kaufleute handelten mit Stieren und Wein, und sie nutzten dabei ein Maß für Festes und Flüssiges, "arroba", etwa 10 Kilogramm (25 Libras) oder um die 15 Liter. Das Wort ist arabisch, Ar-roub bedeutet "das Viertel". "Arroba, Arobas" wurde mit dem Klammeraffen @ dargestellt - und dieser dann als Arroba bezeichnet. Der Name arroba für das @ hat sich seither in Spanien und Frankreich gehalten.
Für die internationale Benennung des Klammeraffen in der Gegenwart war das Internet ein übersprudelnder Quell. Die in Taiwan lebende amerikanische Linguistin Karen Steffen Chung hatte per Email nach dem Namen des Symbols in der Heimatsprache ihrer Adressaten gefragt. Die Liste, die sie im Internet publizierte, umfaßt 40 Sprachen einschließlich Esperanto, referiert von 115 Zusendern aus vieler Herren Länder. Vom serbischen "verrücktes a" bis zur poetischen türkischen "Rose " reichen die neuen Namen. Affenschwanz oder netter -schwänzchen sagen die Niederländer, die Polen knapp Affe, ebenso die Slowenen und die Serben, die aber auch äffisches a sagen. Ein Esperanto-Fan hat es Spinnenaffe getauft, Die Dänen nennen das @ Sauschwanz (eine Dänin schrieb allerdings im September 2000, das sei nicht richtig, allein Rüssel-a sagten die Dänen), Rüssel-a heißen es also die Dänen, aber auch die Norweger und die Schweden. Die Österreicher nennen es auch Ohrwaschel. Die Engländer, die Franzosen, die Israeli, die Koreaner machten es zur Schnecke, was einen merkwürdigen Gegensatz zur alten "Schneckenpost" ergibt. Die Mandarin-Chinesen sagen zu dem @ Mäuschen , die Griechen Entchen. Die Finnen und Schweden haben auch noch Katzenmetaphern ersonnen: Katzenschwanz, Katzenpfote, Miuku mauku (Finnisch fürs Katzen-Miau), die Polen sagen Kätzchen. Die Russen benamsen das @ dagegen durchgehend als Hündchen (sobachka ). Die Spanier, Portugiesen, Katalonier und Franzosen benutzen den Namen des alten arabischen Maßes weiter: ar(r)oba(s). Gebäck muß herhalten beim hebräischen Strudel, der schwedischen Zimtrolle, vielleicht dem polnischen Schweinsohr , jedenfalls beim russischen Rundkeks. Wurm oder Made ( Kukac) sagen die Ungarn zu dem @, die Thais geringelter Wurm. Bildkräftig sind die Norweger: Sauschwanz und geringeltes Alpha. Ganz witzig sind Engländer, die das @ bildkräftig einfach das Gelächter nennen. Eine besonders originelle Bezeichnung stammt aus Tschechien und der Slowakei: Rollmops - eine eher geheimnisvolle aus Südindien; auf Tamil heißt das Zeichen Inaichuzhili. Bei der Erklärung dieses Wortes brach das Dokument ab. Ein netter Leser dieser Seite machte darauf aufmerksam, dass der italienische Begriff für den Klammeraffen, chiocciola, außerhalb der Computerwelt nicht nur Schnecke, sondern auch Wendeltreppe bedeutet. Ein schönes Bild: das @ von oben gesehen.
Postscriptum: Von einer seltsamen Koinzidenz berichtet Andre Stanly. Die tierischen Klammeraffen gibt es ja wirklich in Südamerika. Sie heißen auf zoologisch-lateinisch witzigerweise Ateles. At e l e s !
"Also eine zufällige Verbindung zwischen Klammeraffe und dem 'at'", schreibt Stanly. In der Tat: merkwürdig.